Kunsttheorie / Kunstvermittlung

Eugen Blume | Berlin
portrait
Imi Knöbel-Ausstellung in der Dt. Guggenheim, Berlin, 2009.
Kurator Eugen Blume
© SKB
portrait

Liebe Frau Breitwieser,
vielen Dank für Ihr Schreiben. Ich benutze nun nocheinmal die E-Post, bin aber grundsätzlich dafür, daß das reale Leben wiederbelebt wird: gegen jede digitale Ansage auf Bahnhöfen zum Beispiel. Wie gut ist es, eine wirkliche Stimme zu hören und keinen Roboter. Auch weben. Ich habe Ihnen einen kleinen Textauszug angehängt. Vielleicht ist der schon brauchbar für Ihre Sache.

Mit herzlichen Grüßen
Eugen Blume <<Sprache als Webform.doc>>

SPRACHE ALS WEBFORM

Joseph Beuys führte 1984 gemeinsam mit Nam June Paik in Tokyo eine spektakuläre Aktion auf, in der er einen Coyoten sprachlich darstellte. (1) Im Verlauf dieser Aktion unterbricht Beuys den Wolfsgesang und rezitiert die Worte von Rudolf Steiner, die Marie Steiner in ihrem „Sprachkurs für die Teilnehmer des Dramatischen Kurses“ 1924 in den „einfachen Artikulationsübungen“ (2) verwendet hat, wobei Beuys in der zweiten Zeile das Wort „Hoffnung“ durch „Hoffen“ und in der vierten Zeile „Wollen“ durch „Willen“ ersetzt . Dieser Text verwendet als Grund und Ergebnis aller Bewegung das Weben.

„ERFÜLLUNG
GEHT DURCH HOFFEN
GEHT DURCH SEHNEN
DURCH WILLEN
WOLLEN WEHT IM WEBENDEN
WEHT IM BEBENDEN
WEBT BEBEND
WEBEND BINDEND
IM FINDEN WINDEND
KÜNDEND“

Rudolf Steiner taucht an dieser Stelle nicht zufällig auf, sondern Beuys greift bewußt auf jenen Mann zurück, der im vorigen Jahrhundert in einer Weise das Phänomen Sprache thematisiert hat, die wieder an den Urgrund der Sprachewerdung heranführt und dem Sprechen neue Impulse verleihen sollte. Steiner erkannte, was Beuys unabhängig von ihm auf seine Weise als Künstler herausstellt, daß im Sprachlichen „von Anfang an etwas gelebt hat vom Musikalischen sowohl wie vom Plastischen.“ (3) Für das richtige Sprechen mit allen Sinnen und nicht nur mit dem Kopf empfiehlt Steiner das Sprechen in Hexametern. Die Punkte und Striche, die Beuys vor dem Konzert auf die Tafel schreibt und später absingt, sind Rhythmisierungen, Zeichen für Versmaße. Beuys „singt“ die Coyote- Laute nicht nur, sondern tanzt sie stellenweise als Hexameter, ganz in Übereinstimmung mit Steiner, der sagt: Das Wesen des Hexameters besteht darinnen, daß er, weil er der Vers für die Mitteilung, für die Erzählung sein will, weil er die Mitteilung ist, die Beine des Menschen abfängt und den Rhythmus der Beine hineinbringt ... Aufstellen mit dem Fuße, o, zwei Schritte e e; aufstellen, o, zwei Schritte e e; o, e e; o, e e; o, e e.“ (4) Der der Sprache zugeordnete Tanz ist im Grunde eine Veranschaulichung der Webform.

Anmerkungen
1 Vgl. E.Blume, Redende Künste-das vor die Welt hinstellen, in: (E.W.J. Beuys, E. Blume Hrsg.) Konzert Joseph Beuys, Coyote III, Nam June Paik, Piano Duett, 2.Juni 1984, Sôgetsu Hall, Tokyo, Berlin 1996, S.20. (zurück)
2 Marie Steiner: „Sprachkurs für die Teilnehmer des Dramatischen Kurses, Dornach, 2. September 1924, nachmittags“, in: Rudolf Steiner, Marie Steiner-von Sievers: a.a.O., S 35ff. (zurück)
3 Rudolf Steiner: „Die Sprache als gestalteter Gestus, dritter Vortrag, Dornach, 7. September 1924“, in: ders., Marie Steiner-von Sievers: a.a.O., S. 93. (zurück)
4 Ebenda, S. 99. (zurück)