Ulrich Klieber, rechts Evgen Bavĉar
Torf
Oft sind es die Zufälle oder Fügungen, die einen zusammenbringen. So auch hier. Silvia Breitwieser habe ich im Sommer bei der Geburtstagsfeier zu Walter Aues 80. Geburtstag kennengelernt.
Jetzt hat sie mich eingeladen, einen Beitrag zu liefern zu ihrem Projekt „Gewebe-Werk“. Und hier ist er.
Ich liebe solche Projekte, wo man aus vollkommen unterschiedlichen Richtungen kommt und zu einem ganz bestimmten Thema arbeitet. Und schreibt. Gewebe-Werk ... zunächst fällt mir nichts dazu ein. Zumindest nichts Unmittelbares. Leinwand vielleicht. Aber das ist viel zu banal. Silvia Breitwieser macht in ihrem Projektpapier Vorschläge. Alles ist minutiös und liebevoll vorbereitet: „Reales und virtuelles Material“, „Gesellschaftsgewebe“, „Biografisches Gewebe“, ...
In einem Brief fragt sie: „Ist TORF für Sie ein GEWEBE? Herzlich Silvia Klara Breitwieser“.
Sie kennt meine Murnau-Bilder. Den täglichen Blick dort aus dem Fenster. Den Blick auf das Murnauer Moos und das Estergebirge. Es ist das größte noch existierende Hochmoor in Europa, habe ich irgendwo gelesen. Sie kennt das Moor. Hat auch längere Zeit hier in Oberbayern gelebt.
Überschneidungen, Schnittmengen, Zufälle.
Also schreibe ich hier kurz über das Murnauer Moos, zu dem ich seit acht Jahren intensiv male. Immer, wenn ich dort bin. Immer derselbe Blick. Zu unterschiedlichen Jahreszeiten, meist zur gleichen Zeit frühmorgens. Eine Bühne, die sich ständig ändert. Wolkenmassen, die mitunter die Bergkulisse in Fetzen zerreißt. Und zu verschlingen scheint.
Nebelschwaden, welche die Kulisse verzaubern. Ganz zu schweigen von den endlosen Regentagen, lang und heftig. Alles wird dann in ein helles, undurchsichtiges Grau getaucht.
„Ist TORF für Sie ein GEWEBE?“ Mitunter gehe ich raus. Es gibt einen Moorrundweg, genannt Moosrundweg. 12 Kilometer lang. Fünf bis sechs Stunden. Ich bin ihn schon oft gegangen. Schon als Kind. Das Moor hat sich verändert, obwohl es ein geschützter Ort ist. Die Wege sind jetzt besser ausgebaut. Fahrradfahrer gibt es viele. Schautafeln mit Hinweisen zur Tier-und Pflanzenwelt wurden angebracht. Die Heuhaufen sind weitgehend verschwunden. Sie machten einst das typische dieser Landschaft aus. Festgehalten auf vielen Bildern von Gabriele Münter. Eine Stelle im Moor liebten wir als Kinder ganz besonders. Sie kam gegen Ende des Rundwegs. Man konnte so länger durchhalten und freute sich darauf. Sie kommt kurz vor Grafenaschau. Ein sumpfiges Gelände im Moor. Eisenplanken sind ausgelegt. Man muß sich darauf bewegen. Der Weg ist gefährlich, man würde sonst versinken. Je nach Wasserstand drückt das Wasser beim Gehen nach oben. Ein wippender, federnder Gang über die schmalen Planken durchs Moor. Immer war es ein Kitzel, wenn Wanderer aus der anderen Richtung entgegenkamen.
Dieser Gang durch diese romantische Lichtung war nur wenige Hundert Meter lang und führt durch niedrige Baumschonungen mit seltenen Pflanzen, denen das sumpfige Gebiet nichts ausmacht. Am Ende kam ein Gebiet, wo noch Torf gestochen wurde. Alte, verrostete Bagger, verrottetes technisches Gerät. An diesen Stellen war das Moor noch trockengelegt. Die gestochenen Stücke sahen aus wie Backsteine aus Torf. Wie ganz dunkles Vollkornbrot, fast schwarz, so meine ich mich zu erinnern. Torf diente früher auch als Brennmaterial. Die Bürger hatten Anrechte und ganz bestimmte Parzellen, so wurde mir erzählt. Wir Kinder liefen durch einen Hohlweg aus trockenem Torf. Eine Art verdichtetes Gewebe, durchzogen von Wurzelwerk. Wie gepreßt, zusammengebacken. Inzwischen ist die Stelle verschwunden. Renaturiert. Ich bin schon lange nicht mehr dort gewesen, aber jetzt, wo ich das schreibe, will ich bald wieder dort hin.
Silvia Breitwieser hat mich darauf gebracht: „Ist TORF für Sie ein GEWEBE?“
Ja, und das Beziehungsgeflecht, das sich wie ein Gewebe darum fügt, auch. Wo sich Eins ans Andere reiht. Walter Aue, Murnau, Aues Geburtstag, Silvia Breitwieser, Torf, ... ich will ein Malerbuch dazu machen.
Halle, 1.November 2010.