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Rudolf  Heinz

Philosoph · Psychoanalytiker · Begründer der Pathognostik · ...

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Rudolf Heinz
"Die Zerstörung der Vernunft"?
Philosophische Bemerkungen zum aktuellen Rechtsradikalismus

Thesen:

1. Der Rechtsradikalismus ist das Werk der Einen sich konservierend selbstzerstörenden Vernunft selbst.

2. Der moralische/rechtliche Einspruch wider den Rechtsradikalismus ist des gleichen (Spaltungs-)Wesens wie dieser schon.

3. Die vernünftige (Produktivkräfte-)Maßgabe (der Produktionsverhältnisse-Ideologie) des aktuellen Rechtsradikalismus sind die modernen Medien (Universaldesign) als Organ absoluter, Äquivalenz-aushöhlender Hygiene.

4. Im Schein der Abgeschafftheit von Arbeit in dieser Maßgabe muß sich Arbeit, entblößt zum formalen Letztwert, de facto verknappen: Endzeit als barbarische Vorzeit.

5. Der aktuelle Rechtsradikalismus ist die tätige Aufklärung dieses Widerspruchs als neue, strikte der Maßgabe der Medien botmäßige, (Wider)Gerechtigkeit der Arbeitsverteilung.

6. Der rechtsradikal dienstbare Skinhead stellt in der Art eines postmodernen Gesamtkunstwerks wie angelisch die Grenzwache dieser Verteilung dar.

7. Die Aufmachung des Skinheads besteht folgerichtig in der In-sich-Reflexion dieser Übergangshypostase.

1. Meine Damen und Herren,
gebildet, wie Sie es gewiß (noch) sind, haben Sie es vernommen: einen bekannten Buchtitel wählte ich zur Hauptüberschrift meines Vortrags - den des opus magnum von Georg Lukacs, des Jesuiten Naphta in Thomas Manns Der Zauberberg außerdem. Deshalb die Anführungszeichen, gefolgt indessen von einem im thematischen Zusammenhang wohl befremdlichen Satzzeichen: einem Fragezeichen nämlich, so als wollte ich die Widervernünftigkeit des Rechtsradikalismus, einschließlich des aktuellen, initial schon bezweifeln. In der Tat nun - wenn Sie geneigt sein sollten, die Frageform des Obertitels als Index meiner einschlägigen Skepsis, mindest, zu hören, so haben Sie mich tendenziell bereits verstanden. Ich muß nämlich - allen Ernstes, philosophisch - und das heiße unerhörterweise - stipulieren, daß, wenn die von Lukacs geltend gemachten irrationalistischen Traditionen der sich politisch im Faschismus/Nationalsozialismus realisierenden bürgerlichen Philosophie Inbegriffe der "Zerstörung der Vernunft" seien, es dieser letzte Aufklärungswert Vernunft selbst sein müsse, der sich auf diese Art zerstöre; daß es sich, kurzum, um die pure Selbstdestruktion dieses hehren Grundsatzes, um seiner selbst willen zudem bloß, und keineswegs um Angelegenheiten eines Rationalitäts-heterogenen Sündenfalls dieses an sich unschuldigen und in seiner - sündenfällig gereiften - Unschuld schließlich restituierbaren Prinzips handeln könne. Wohlgemerkt votiere ich nicht deshalb wie irrationalistisch dissident, weil sich die marxistisch-leninistische Vernunftsusurpation Lukacs' mit dem Niedergang des faktischen Kommunismus miterledigt hätte; nein, ich meine es durchaus ebenso "grundsätzlich": daß die Vernunft eben Eine sei, die sich durch ihre eigenen, scheinbar nur widervernünftigen Grenzwerte selbstbewegt, -erhält, -steigert. Also, bitte: der Genitiv in meinem Obertitel würde das Fragezeichen weggeschafft haben, wenn er sogleich als genitivus subjectivus oder, besser noch, als im Normaldeutsch verbotener genitivus absolutus, gelesen worden wäre. So denn auch meine Sprachspielereien wider die Gewalt der Straße, und so auch prinzipiell, wie es bloße "Bemerkungen zu ..." eben sein können.

2. Wenn denn nun, grosso modo, auch der aktuelle Rechtsradikalismus mitnichten unvernünftig, höchst vernünftig/extrem rational vielmehr, wie ich ja behaupten muß, sei, und in dieser seiner paradoxen Qualifizierung ein motivierendes Extrem von Aufklärung selbst, oder mindest aber, wie derzeit in seinem fragmentierten Aktionismus (noch?), einen prekären Narrenspiegel der Extreme fortgeschrittener Vernunft ausmache, so müßte es, folgerichtig, müßig werden, antifaschistische Gesinnung in der Art moralischer Vernunftsappelle zu dokumentieren; was ja landauf landab, wenngleich wohl nicht unbedingt immer nur ganzherzig geschieht. Und es sich letztlich gar erübrigen, die entsprechenden rechtlichen Folgemaßnahmen Moral-exekutiv zu betreiben? Auch diese letzte Konsequenz nehme ich in dieser meiner Rede auf mich; freilich nicht ohne mich eilig zu besinnen, daß auch ich, als vereidigter Bürger, durch alle Arten von Gewalt, die mir drohten, erpreßbar wäre (wenn fällig, also nach der Polizei, wie weiland Adorno schon, riefe); welche Erpressung aber wiederum nachdrücklich Thema würde, sobald es der wiederhergestellte zivile Frieden erlaubte: Intellektualität also ein höchst bedingtes, wahrlich nicht autonomes Interim, so daß ich die fragliche Konsequenz, von der Strafverfolgung rechtsradikaler Gewalttäter ablassen zu sollen - ich widerspreche mir -, zugleich überhaupt nicht aufmichnehmen kann. Gleichwohl - auflösbar ist dieses Dilemma zwar mitnichten, doch mag man es dehnen, um dem möglichen Einschuß von, also heteronom-fundierten, Wissensresten, durchaus verzweifelt, ein wenig Platz zu verschaffen, in der gänzlich gewährlosen Voraussicht, daß sich der Bann der Vernunft im Kampf wider das Pseudos derselben Widervernunft nicht mehr, Werte-erpresserisch und zu legitim dann rasender Blindheit verurteilend, zusammenziehe. In diesem labilen Moratorium aber bliebe es immerhin noch vergönnt, denke ich, sich des wie auch immer unvermeidlichen Widersinns der moralischen Intervention zu vergewissern: Moral kopiert bloß das Abspaltungswesen, das ihren vermeintlich amoralischen Feind bestimmt; kommt in diesem notorischen Abwehrvorgang (Projektion/Isolierung) mit diesem nichts als überein. Alte, gar psychoanalytische, Weisheit einer schmählichen, zu harter Verleugnung Anlaß gebender Übereinkunft: daß die moralistische Konspiration von "Überich" und "Es", die beide ihrem Wesen selbst nach betreiben müssen, die ehrenwerte Absicht der Gewaltabschaffung ins Gegenteil der Gewaltsteigerung pervertiert. Nichts ist in diesem schlechten Sinne konservativer als Moral und Recht; und doch kommt, was für den "Ich"posten, das immer arme "Ich", verbleibt, nicht, hetero-gen, von anderswoher, und, also homo-gen, vermag es den Kurzschluß von Gewalt, die Destruktionsausfällungen aus dem Widersinn von Spaltung und Einung, Diskrimination und Fusion, allerhöchsten aufzuschieben, nicht jedoch letztlich aufzuhalten. Vordringlich wäre hier einmal zu fragen, welche politische Funktion es denn wohl habe, daß solche - doch recht trivialen - Theoreme der Aufklärung der Aufklärung sich in keiner community (auch nicht der der Deutschen Philosophen etwa) niederlassen dürfen. Der folgende Antwortversuch wird die ganze Macht des Banns der Einen Vernunft, selbst in der Sphäre ihrer nicht mehr moralistisch kupierten Selbstdurchsichtlichkeit, der, gewiß höchst funktional, geschmähten, nur unterstreichen müssen.

3. Dringendst wäre nahezulegen, die eine große bürgerliche Aufklärungsform, den Marxismus, wenigstens insoweit nicht zu verwerfen, als sie die unverzichtbare Letztreferenz auf die Produktivkräfte/die materielle Kultur artikuliert. Entsprechend die Hypothese gilt, daß der aktuelle Rechtsradikalismus, diese Ideologie-Verschlußsache der Produktionsverhältnisse, Pendant der modernen Medien, des Inbegriffs der epochalen Entfesselung der Produktivkräfte, sei. Dies aber selbstverständlich nicht - um diesem naheliegenden Mißverständnis sogleich zu wehren - in dem Sinne, daß das Übermaß medialer Gewaltdarstellungen in reale, sich unter anderem durch den Rekurs auf den Nationalsozialismus rationalisierende Gewalttätigkeit überspringe; ebensowenig - verallgemeinert - dergestalt, daß der grassierende Medienkonsum, auf Arbeit und Interaktion hin, kulturell unmäßig depraviere. Nein, fernab von der - wiederum moralistischen - "Kriegsführung Kausalität", die ja verheißt, endlich den großen Schuldigen dieser Gewaltmisere zu finden; fernab von allen kausal-moralischen Erfahrungsisolaten, wäre von der einschneidenden nötereichen Modifikation des Selbst- und Anderenverhältnisses durch die modernen Medien, rein formal/funktional als solchen, in nicht-kausaler Rücksicht, auszugehen, von dieser ungewohnten, alle Inhaltsebene quittierenden Wendung. Worin diese besteht? Es liegt nicht nur nahe, es geht nicht anders - wegen der erschreckenden Thematisierungsausfälle fast überall sonst -, als zur Paraphrase der Maßgabe der aktuell vorherrschenden Produktivkraft Medien auf einschlägige zeitgenössische französische Philosophie zu rekurrieren; worin ich mit meinem jüngeren Kollegen Eckhard Hammel übereinkomme, der in einem außergewöhnlichen neueren Text (Terror von rechts, Design und Kommunikationskultur) die folgenden negativ-marxistischen Pointen mit mir teilt. Der innere Fundamentaleffekt der modernen - Postmodernität erzeugenden - Medien besteht darin, auf materielle Weise Les Immatériaux (Lyotard), die Permanenz des Vorgeschmacks, wenn nicht des Beginns gar schon des "Neuen Himmels und der Neuen Erde" zu wirken. Oder, mit Baudrillard, noch ein wenig deutlicher vielleicht, ausgedrückt: medial erotisiert sich die progrediente Thanatologie der innerweltlichen Ideierung von Allem und Jeglichem im Generalphänomen der "semiologischen Reduktion" (Fetischisierung)/des "Simulakrum"/des "Hyperrealen" und so - fortschrittlich - noch fort. Oder: "Wunschmaschinen" (Guattari), mit Verlaub "Fornicon" (Tomi Ungerer), allenthalben - es wäre ein leichtes, diese trefflichen Topoi textuell auszuziehen, um den Überblick des zur Lückenlosigkeit/Kontinuität/Indifferenz tendierenden Gesamtfelds des Universaldesign, der vom Himmel herabgestiegene, zur höchsten Transzendentalie aufgewerteten minderen, des Schönen, zu statuieren. Diese Prätention kann man, längst wohlfeilerweise gar, wissen, ohne die blendende Hypokrisie des moralischen Einspruchs dagegen bemühen zu müssen, hypokritisch allein schon dadurch, daß schwerlich moralisch verstimmte Zeitgenossen/Innen (-Innen insbesondere) begegnen, die alle Sinnenöffnungen am Kopf verstopft hielten. Allein, das medial wahrhaft produzierte Phantasma kurzum der Unsterblichkeit der Körper mitsamt der Dinge, diese Anmaßung der Götter, hat für die Menschen, auch und gerade, so sie modern (und postmodern gar) sind, wie immer, ihre Tücke. Schwere Not kommt auf, unvermeidlicherweise, von der man meinen sollte, sie könne garnicht und garkeine sein: - in aller theologischen Präzision gesagt (es mag wie ein lutherischer - und dann calvinistisch abgefangener? - Alptraum wirken) - die Gnade läuft den Werken uneinholbar davon. Da capo, bitte: die Gnade läuft den Werken uneinholbar davon (ein Gedanke, der, medienphilosophisch, schon bei Baudrillard, wenigstens implizite, steht). Gnade, die Himmelsgabe der medialen Bereinigungsperemptorik von Welt, die sich anschickt, den Begnadeten zu vernichten, wie wenn die fast schon eschatologische Entwertung, der Geistangriff auf die Masse der sterblichen Körper, an diesem anderen Ende, im Gegenteil deren nur dann noch Opfer heischenden Transfiguration, sich rächte. Himmelsultimatum, in jedem, zum Beispiel nur, mit einem Fernseher ausgestatteten Raum. (Und wie ich nicht übertreibe, indem ich spreche, wie ein Fernseher - im Übergang der Schizophrenie in die Paranoia, dieser Dingwache / diesem höchsten Fernsehschutz -, und gar auch noch kritisch spräche.) Also kommt man nicht mehr mit, kann überhaupt nicht mehr mit- und gegenhalten: welche Nichtäquivalenz zwischen den Kabelprogrammen, nur wiederum zum Beispiel, und deren Gebühren, und überhaupt je meiner Gegenleistungen insgesamt! Will sagen, daß sich die Nötigung bündelt, diesem Moloch der niedergekommenen Idee, um der Selbstwahrung willen, mit dem nährenden Opfer der Erscheinung zu willfahren. Wie aber - um Gottes, der Medien, und der Menschen, deren Menschen, willen?

4. Wenn es beliebt, den rasenden Progreß der technischen Körperersetzung mit dem Oberbegriff Universaldesign zu belegen, so impliziert diese Universalie zuvörderst die Abschaffung der Arbeit, den Abwurf der Hauptlast der einzig durch diese determinierten Gattungsgeschichte. Schön wärs? Durch schier nichts gedeckt indessen, besorgt die endlich realisierbare bürgerliche Utopie, wenigstens am Ende der Zeiten in den Genuß der unendlichen Mühen davor zu kommen (es wären zufällig aber nur die letzten Menschen, und eben nicht die vordem!), daß Arbeit de facto immer knapper wird, und dies scheinbar wider alle Vernunft im Angesicht der Abundanz dringlichster Arbeitssujets: das erreichbare/erreichte Heil, die Fülle der Zeiten, als unheilstes Mangeldesaster demnach, in dem schon geltend gemachten basalen Sinne vernichtender Hyperbegnadung, von eigenen Werke-/Arbeitsgnaden freilich davor. Regressive Folgen aus dieser paradoxerweise sich verknappenden Immortellenofferte bleiben nicht aus. Solch Widersinn treibt Arbeit als solche, nackt, nur noch formal (wie es die Philosophen doch lieben) als den letzten Wert hervor. Und in dieser seltsamen Endgestalt, möchte man meinen, wiederholt sich in krudester Weise die Vorzeit: die Anti-Demokratie der Ausdehnung des Privatbesitzes/der Territorialisierung just auf den Letztwert Arbeit als Wareninbegriff, der einzig noch zur Verteilung schließlich ansteht: progressiver Regressionismus künstlicher Naturwüchsigkeit, Sozial-Darwinismus der Arbeitsteilung und -hierarchisierung bis-zum-es-geht-nicht-mehr. So die Ausgangssituation für den neueren Rechtsradikalismus: eine gesellschaftliche Doppelaufgabe: den Gott, der diese Lage schuf, die modernen Medien, sowohl durch Opfer ernähren, als auch das göttliche Opfermahl unter die Menschen in gerechter Art aufteilen zu müssen. Die innere Kriegführung um den Besitzstand Arbeit - venatio laboris - schafft sich aus sich die Legitimität der Besiegten/der Opfer just dieses ultimativen Werts. So weit, so gut - und immer schlecht. Doch der enorme Fortschritt der Produktivkräfte, das mediale eschaton derselben, läßt solche ordinäre Opferlogik zu einer Logik schlechthin des Absurden werden. Daß nämlich Arbeit für Arbeit gehandelt wird - Selbstreferenz nicht zuletzt also auch hier! - und daß das Arbeitsspitzenprodukt, die Medien, diese seine/ihre Arbeitsprovenienz an sich liquidiert, dieser objektive Widerspruch macht, widersprüchlicherweise, das Opfer notwendigst und überflüssigst zugleich und die eigene formale Territorialität, die rare, in einem kontingent und ewig zudem.

5. Was aber liegt in dieser Unerträglichkeit, - ausgehende - Arbeit nur noch als - anmaßende - Beruhigung üblicher Äquivalenzbedürfnisse reklamieren zu können, näher, zusammengezogen das eine zu tun und das andere nicht zu lassen, gleichwohl? Oder haben Sie schon einmal erlebt, daß jemand, außer daß er stürbe, den Stand der Produktivkräfte hätte fliehen können? Welche Weisheit indessen nur funktioniert, wenn das drohende Selbstopfer, die mediale Aphanisis, invertiert wird in das befreiende des Anderen, wie man ja weiß. Voil`! Also erfindet man dasjenige Feindes- und Sklavenheer, das, bar der Rechtfertigung, am göttlichen Mahle des Opfervermögens selbst teilzuhaben drängt und so den puren Schein der Knappheit der Vermögensmahlzeit als Strafe dieser Außenanmahnung verschuldet, um es in dieser Zurichtung unserem fortgeschrittenen Gott als Opfergabe zu weihen, insofern dieser ja bloß dazu bewegt werden muß, den Schein des Mangels, diese Schuld einzig der Unwürdigen, wieder zu beseitigen. "Komplement der Oberflächlichkeit ist die postmoderne Designkultur, die Kultur der Oberflächen-Patchworks und der Geschwindigkeit der Bilder. Die Gewalt von rechts ist der Hygieneagent des Designs, nicht nur insofern das nicht dem Design Unterliegende ausgemerzt wird, sondern insofern mit der Erklärung eines Bevölkerungsteils zu Fremden das Design als Abhebung von diesem gerade erst möglich wird." (Eckhard Hammel) Also mögen Sie bitte annehmen, daß der neuere Rechtsradikalismus, fatalerweise freilich, gesamtgesellschaftlich bestellt ist; und nicht minder, daß der mentale und reale Einspruch gegen denselben sich eben nicht moralisch wider dessen Immoralismus richtet, vielmehr es auf dessen schändliche Aufklärungsvalenz wie antiintellektuell abgesehen hat; ferner daß es überhaupt nicht sichersteht, daß in der Wehr gegen solche verstrickten, blickfängerischen Aufklärungspointen sich das Potential einer besseren, veränderungsbegabten Erkenntnis versammelte; und schließlich daß die Wahrheitsintransigenz dieses meines Vortrags fürs erste gar nicht mehr als das Exempel der Möglichkeit, diese Kröte(n) schlucken zu können - er hat den Mund also nicht vollgenommen - repräsentiert.

6. Jeder Engel sei schrecklich, und das Schöne nur des Schrecklichen Anfang, gnostifizierte Rilke (in den Duineser Elegien); so daß er den Skinhead, zumal den rechtsradikal dienstbaren, gemeint haben würde; der Skinhead als die gesellschaftliche bestellte Imponanz eines Erzengel-Säkularisats, para-politischer Zusammenzug der Para-noia im genauen Wortsinn des Jenseits als Zuviel des diesseitig-Selben. Steht doch Sankt Michael vor dem sichtentzogenen Gott mit der dräuenden, im Ernstfall nicht fackelnden Scheinfrage seines Namens: Wer ist wie Gott?, just so wie der einschlägig militante Skinhead vor dem Video: paranoische Dingwache in konsumtionsdistributiver Rücksicht, auf (die Abschaffung von) Arbeit selbst konsequent bezogen. Und man möge sich bitte doch in der Aporie aufhalten lernen: daß der moralisch aufgeklärte Wegblick von unseren angels mehr noch blendet als deren ungeschützter Anblick, der, geschützt, um die Ecke herum, zwar wahrnimmt, in seiner Wahr-Nehmung aber von dieser schönschrecklichen Vorgabe der Ästhetisierung des Politischen nicht nicht auch angesteckt sein kann. Freilich sind Skinheads in ihrer angelischen Übergängigkeit festgehaltener Vermittlung nichts als postmoderne Kunstwerke, indem sie, als Transit-Hypostasen, alle alten/neuen zivilen Differenzen indifferenzieren: Kunst gleich die Travestie derselben, Ästhetik gleich Kriminalität (und auch gleich Krankheit), Körper gleich Ding/Aufzeichnung, und so fort auf Gesamtkunstwerklichkeit und deren Dementi hin: movie natur. Kein angestrengt humanistisches ni ange, ni bête, beide vielmehr zusammen: Universaldesign (von amerikanischer Buntheit) am Paria-Körper, volle Territorialität als letzte Exterritorialität, deren épater le bourgeois, immer noch, auf der närrischen, nicht aber mehr psychiatrisch einfach disziplinierbaren Rückspiegelung des Bürgergeistes selbst beruht, der, immer noch, allen Grund hat, vor sich selbst also die Beine auf den Buckel zu nehmen. Oder, nicht viel anders ausgedrückt (wenn Sie solche unbelehrbaren Marxismen noch erlauben können): es ist nichts anderes als die wahrhaft delirante all-indifferenzierende selbstreferentielle Potenz des Geldes, deren postmoderne, also auf diesem fortgeschrittensten Kapitalismusniveau selbst angesiedelte, Aufklärung wie eine terroristische Epiphanie wirken muß - ja, ist doch jeder Engel schrecklich; und verschmäht es auch, uns, nicht aber die Ausländer freilich, zu vernichten: seine gesamtgesellschaftliche Funktion, die wider alle multifaktorielle, gewiß aber hauptsächlich wiederum familiale, Ätiologie nicht nicht obsiegen kann, weil diese die absurde Dislokation von schon abgeleiteter Schuld betreiben muß. Also mögen unsere weißen angels, die durch ABMs vermehrten Sozialarbeiter, mit dem Arbeitsauftrag noch weiter ausgeweiteter Psychoanalyse ausschwärmen! Vorsicht aber - oft nämlich tragen unsere schwarzen Gottesboten Fallschirmspringerstiefel: sind also, nicht hiesig herleitbar (und womöglich auf diesem Weg zu entschulden), vom Himmel gefallen.

7. Das Outfit-Management des angelischen Übergangs produziert eine Sonderform von Dermatologie - der Name sagts ja schon: Skinhead -: ein charakteristisches Hautwesensystem, in dem es endlich auch erreicht scheint, daß die Männer wieder ganz unter sich sind ("Neue Männer braucht das Land"); "scheint" indessen insofern - nach aller Fetischtheorie - es sich um die männlich-homosexuelle selbstrekursive Rückaneignung des fetischisierten weiblichen Körpers (Ganz-Phallus, anscheinend wieder am rechten Ort) handelt. Der Benjaminsche "Sex-appeal des Anorganischen", sprich; des Gemachten (Fetisch!) von einer ikonisch starren fraktalen Komik, aus sicherer Distanz gesagt; Wo Hülle ist, da muß Blöße hin, und, umgekehrt, wo Blöße vorliegt, da ist Hülle angebracht; Hüllenblöße/Blößenhülle - Selbigkeit der Hautenge der Kleidung (der Jeanshose) und der Rasur des Kopfes (wessen wohl noch?), der - gar nach dem Heiligen Thomas von Aquin - ausschaut wie der (auch in science fiction begegnende) Himmelskopf, der schier enthaarte/epilierte verklärte Auferstehungsleib nach dem Jüngsten Gericht. In diesem Chiasmus der Fetischisierung gehen, vermittlungskonsequent, Natur und Kunst ineinander über; Fusionsauswurf des Übergangs. Der freilich imperfekt bliebe, wenn er nicht immer auch in sich changierte/vexierte dergestalt, daß sich das Kontrarium der Terrorepiphanie einstellte, die reinste Camouflage nämlich (wie in der Jeansalternative, der grünen Militärhose mit ihren - Aigis/Kibisis - Blasebalgtaschen, und auch der militärgrünen und/oder -schwarzen Nylon-Blouson-Bomberjacke). Wie wohl die ordentliche Gesinnung derjenigen lautet, die für den funktionierenden Markt solcher Artikel sorgen? - ist man, zwischendurch, zu fragen angeregt. Der freilich weiterhin imperfekt bliebe, wenn nicht in einer Art virtuoser Debilität die Transitorik selbst sich, infinit, in-sich-reflektierte dergestalt, daß eine Art von Reliefwesen notwendig wird: Aufkleber, Anstecker, Buttons; Grafitti auf Kunst-Haut, HautKunst, übergängig auch vom Bild zur Schrift(Sprache), Memento-Plakate, Handlungs-Avis, die innere Gesinnung nach außen kehrend und am Übergangsort fixierend: "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein". Und nicht zuletzt - Sie mögen es sich als einen Heinzschen Mystizismus bitte notieren -: "Alle Engel sind nach innen von orangener Farbe" Denn das Innenfutter der Bomberjacken ist, gleichwelcher Couleur die Fassade, orange. Koloral überschüssig, leuchtend, signalisierend, so wie bei der Hygieneagentur der Müllmänner, die ja fast nur noch Ausländer sind, demnach; doch, der Sicht entzogen, paradoxerweise wie schamhaft invertiert, so als müsse in dieser Richtung auf den fleischlichen Körper hin Sicherheitsabstand bedeutet werden, auf daß alles Fleisch letztendlich, Opferstoff-Abfall-übergängig, sich aufhebe in die Transfiguration seines reinen Bildes hinein. Womit wir wiederum bei der universellen Maßgabe der modernen Medien, auch und zumal für den bloß in seiner besagten Para-noia scheiternden Rechtsradikalismus, angekommen wären. Und ebenso bei der nur Einen Vernunft, und der Konservativität des moralischen Einspruchs. Und. Vielen Dank, gleichwohl. (Ob es mir wohl gelungen sein sollte, Sie aufzuregen?)

Vortrag am 01.07. 1993 innerhalb der Ringvorlesung im Sommersemester 1993 über Geisteswissenschaft und Widerstand im Rahmen der Aktion Was tun: Düsseldorfer Kultur gegen Fremdenhaß und Gewalt

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